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Dr. Friederike Zimmermann (Kunst & Kommunikation)
„Von A bis Z“ – Frank-Joachim Grossmann, Typografische Arbeiten
Zur Ausstellung in der Künstlerwerkstatt L6, 1.2.–3.3.2018

Es sind Buchstaben, Zahlen – mithin Zeichen, die hier als Bilder an den Wänden hängen. Nahezu alles Holzschnitte (auch wenige Linolschnitte sind darunter); besser hätte es für diesen Ort, eine ehemalige Druckwerkstatt, gar nicht passen können. Keine Seelenlandschaften, wie wir sie etwa von Edvard Munch kennen; keine figürlichabstrahierten Menschendarstellungen eines HAP Grieshaber, sondern rationelle Zeichen in allen möglichen Farben, Formen und Perspektiven. Nüchterne Typografien, emporgehoben in den Rang der Kunst.

Und doch habe ich selten eine Ausstellung erlebt, die mich in solchem Maße in ihren Bann zog wie diese. Dass mich eine Schau mit ausschließlich typographischen Arbeiten derart faszinieren würde, hat mich selbst erstaunt und mag auf rein subjektiven Eindrücken beruhen. Doch wollte ich dieser Faszination auf den Grund gehen: Es scheint mir diese eigentümliche Verbindung aus Zeichen und Bild - Typographie und Kunst, die Frank-Joachim Grossmanns Werken eigen ist und dennoch die Sinne anzusprechen vermag wie etwa ein figürliches Bild Grieshabers. Wohlgesetzte Farbklänge wechseln mit strenger Form. Teils dominiert die Farbe das Bild, das dadurch einen eher malerischen Charakter erhält, teils dominiert die Form, die dem Bild dann eine eher graphische Wirkung verleiht.
Fragt man den Künstler selbst, so nennt er als sein Faszinosum den „Zwischenraum von Schrift und Kunst“, den die Typographie als Form zwischen Gestaltung und Sprache einnimmt. Und dafür ist der Holzschnitt das Medium, das der gesetzten Schrift zwar am nächsten kommt, sich aber zugleich absetzt von der perfekten Geometrie der Zeichen – etwa im Digitaldruck. „Mich interessiert der Gegensatz zu digitalen Lösungen“, sagte er mir im Gespräch und legte damit den Fokus auf den handwerklichen Prozess, der sich im Holzschnitt eben immer abbildet. Dieses Spannungsfeld bzw. der „Zwischenraum von Mensch und Maschine“ (wie er es auch einmal genannt hat) ist das, was Frank-Joachim Grossmann antreibt: Zeichen, die wie „vermenschlicht“ wirken, so dass es für die Rezeption am Ende gar einerlei ist, ob auf den Drucken Buchstaben, Zahlen oder figürliche Kompositionen dargestellt sind. Diese schöpferische Triebkraft spiegelt sich auch in seiner Vita wider, die zwischen Beruf und Berufung stets zweispurig verlief: Geb. 1958 in Jena, studierte er 1978-83 zunächst an der Fachhochschule für Gestaltung in Mannheim Grafik-Design mit Diplom bei Wolf Magin und Hubert Gems.
Parallel arbeitete er immer auch als bildender Künstler. Zudem war er seit 1985 freischaffend für mehrere Verlage als Grafik-Designer tätig, für die er Illustrationen und Info-Grafik erstellte. 1995-98, also 12 Jahre später, studierte er an der Staatlichen Akademie der bildenden Künste Stuttgart bei Manfred Kröplien und Günter Jäcki Kommunikationsdesign, das er ebenfalls mit Diplom abschloss. Seit jeher hatte er ein eigenes Atelier, seit 2002 befindet sich dieses in Römerberg-Berghausen, wo er auch lebt. Zunächst fertigte er Zeichnungen, malte auch hie und da, doch erst durch sein Studium an der Stuttgarter Akademie wurde die Typographie neben seinem Beruf als Professor auch zur auserkorenen Kunstform.

Gelehrt hat er seit 1992 als Dozent und als Professor an mehreren Hochschulen, u.a. in Karlsruhe, seit 2001 in Schwäbisch Hall, seit 2007 in Worms usw.; die Liste seiner Lehrstühle ist lang. Aber auch die seiner Teilnahme als Künstler an Gruppenausstellungen – darunter etliche im Ausland – liest sich endlos, zudem wurde er von 1990 an in zahlreichen Einzelausstellungen gewürdigt.
Frank-Joachim Grossmann ist also Graphiker, Zeichner, Mediendesigner, Dozent für Typographie – und zwar nicht einfach alles nebeneinander her, sondern alles irgendwie in einem: Seine Vorliebe für graphische Zeichen wirkt sich stark auf sein künstlerisches Schaffen aus, wie sich auch umgekehrt sein hoher künstlerischer Anspruch unmittelbar auf seine Lehrtätigkeit für Medien und Design niederschlägt. Gewiss, die Grenze zwischen beidem – Zeichen und Bild, Typographie und Kunst – galt lange als zwischen Design und Kunst existent. Doch gab es diese Grenze nicht zu allen Zeiten. Im Mittelalter war der Holzschnitt – vor allem der sogenannte Einblattholzschnitt – das wichtigste grafische Medium, das Schrift in Kombination mit bildlichen Szenen abbildete. Erst mit Beginn des 20. Jahrhunderts löste sich diese Grenze wieder mehr und mehr auf und wurde für unzählige Kunstschaffende ein wichtiger Bestandteil ihres Schaffens.
„Typografie kann unter Umständen Kunst sein“, wandte 1930 der Künstler und Grafiker Kurt Schwitters ein. Die Avantgarde-Bewegungen der 1960er Jahre – Pop Art, Nouveau Réalisme, Fluxus und Konzeptkunst – setzten Sprache und Text dann vor allem als radikale Anti-Kunst-Geste ein. Künstler wie Franz Ackermann, Jean-Michel Basquiat, Joseph Beuys, Jenny Holzer, Roni Horn, Martin Kippenberger oder Ed Ruscha zeigen auf, wie facettenreich und differenziert Sprache und Schrift als künstlerisches Material eingesetzt werden können. Spätestens im Computerzeitalter wurde der Text dann zum eigenständigen Bildmedium; Typografie zum sinnlich erfahrbaren Element. Heute begegnen uns Buchstaben, Worte und Texte in Kombination mit Bildern täglich und in vielfältigen Ausprägungen. Nun darf man nicht vergessen, dass jede Schrift letztlich aus Bildern entstanden ist: In der Urgeschichte waren es Felsbilder, die Objekte und Tiere weitgehend realistisch abbildeten. Mit der Zeit wurden das Denken und die Sprache der Menschen immer komplexer und die Zeichen, die sie zur Verständigung nutzten, immer abstrakter. – Bis es irgendwann zu einer Trennung kam zwischen dem rein dekorativen Bild und dem Bild als Bedeutungsträger: Das war die Geburtsstunde der Schrift.
Dieser einstigen Verbindung vom künstlerisch motivierten Bild und dem Bild als Bedeutungsträger spürt auch Frank-Joachim Grossmann nach. Nur wählt er hierfür den umgekehrten Weg, indem er das abstrakte Zeichen in bestimmte assoziative Bedeutungszusammenhänge rück-überführt – Vieldeutigkeit ist das Wort, das im Gespräch mit ihm immer wieder fiel.

Ausgangspunkt für jedes Bild ist (zumindest hier) immer ein Buchstabe oder eine Zahl. Häufig basieren die Bilder gar auf Sprachbezügen: Man denke da etwa an die Serie „I’m“ („Ich bin“), die – dem menschlichen Wesen entsprechend – in mal düsteren, mal hellen Farben unterschiedliche Charaktere oder Launen hervorkehrt, was in den einzelnen Bildern wiederum zu großen formellen Unterschieden führt.

Oder betrachten wir das Bild „NO“, das in der Umkehrung auch als „ON“ lesbar wird: das Spiel mit dem Buchstabentausch, der – wie ein Vexierspiegel – neue Bedeutungen kreiert. Manche Buchstaben wecken Assoziationen wie „V“ = „Verbindend“: Entsprechend wurden mehrere Vs ineinander verzahnt. Oder das „Q“, das für „Quick“ steht, was sich im dynamischen Schwung der roten Schrift versinnbildlicht.
Zuweilen kommt auch Zahlensymbolik zum Ausdruck wie hier im Bild „8 unendlich“. In einer Nebeneinanderreihung ließen sich die ineinandergreifenden Zeichen unendlich fortführen. Nicht immer steht eine Symbolik dahinter – das Bild „Take Five“ variiert die Zahl „5“ in verschiedener Schrift und Farbe und nimmt so Bezug zum berühmten gleichnamigen Jazzstück. Manchmal stellt ein Bild an den Betrachter auch regelrechte Denkaufgaben und man steht rätselnd davor. Das ist durchaus gewollt, die Chronologie des Leseprozesses – das Suchen und Erkennen – ist intendiert und imaginiert.
Natürlich spielt bei diesen Bildern eine große Rolle, welche Farbe in welcher Reihenfolge gedruckt wird. Jede Farbe bedeutet einen Druckvorgang. Manche Bilder erlangen durch die Farbüberlagerungen – mit häufig gleichen Buchstaben oder Zahlen in unterschiedlichen Schriften – eine fast mystische Tiefe, wofür sich wiederum der Holzschnitt besonders gut eignet:

Einerseits lassen sich mit dieser Technik klare Umrisse abbilden, zugleich bleibt die Struktur des Holzes in den Farbflächen erhalten – ein sehr reizvoller Kontrast im haptisch-stimulativen Sinne, aber auch künstlerisches Abstraktionselement, das im Gegensatz zur klaren Aussage eines Buchstabens oder einer Zahl steht. Sehr gut lässt sich das an den wenigen Linolschnitten dieser Ausstellung nachvollziehen, die im Vergleich sehr glatt und flächig wirken. Der Künstler legt Wert auf kleine Auflagen: Für den Andruck weniger Exemplare verwendet er zunächst Werkdruckpapier, um den eigentlichen Druck dann in sechs- bis zwanzigfacher Auflage auf Büttenpapier auszuführen. Manche Werke sind auch bewusst als Unikate konzipiert – etwa diese (C-A-g-G), wo sich Form und Gegenform (damit ist die Binnenform eines Zeichens gemeint) die Waage halten bzw. korrelieren.
Besonders wichtig ist für das Ergebnis natürlich auch die Beschaffenheit des Papiers. Der Unterschied zeigt sich etwa in „BC“ und „ABC“, die auf verschiedenem Papier abgedruckt wurden: Das Werkdruckpapier (BC) zeitigt weniger Tiefe und ein insgesamt glatteres (und damit weniger sinnliches) Ergebnis, als etwa das handgeschöpfte oder Büttenpapier (ABC). Auch auf diese Weise lassen sich schöne Kontraste erzielen: Zum Beispiel im Bild „O2“, das in den kräftigen Farben Rot und Schwarz auf zartes Büttenpapier mit „ausgefransten“ Rändern gedruckt wurde – ein ästhetischer Effekt, der an die frühe Plakatkunst denken lässt. Durch die ausgewogene Übereinander-Schichtung unterschiedlicher Farben und die Zueinander-Ausrichtung der Formen entstehen Farbklänge und geometrische Kompositionen, die mit der (dem Zeichen ja bereits innewohnenden) Semiotik spielen und sich auch darüber hinaus sinnbildhaft aufladen. Gar nicht zu schweigen natürlich von den meisterhaften Formen, den individuellen Verschlankungen oder Verdickungen der Zeichen bzw. der speziellen Form ihrer Rundungen. Zuweilen entstehen daraus sogar ganz neue Schriften, Buchstaben oder Ligaturen.
Meine Damen und Herren, wenn der Künstler mir gegenüber neulich lapidar im Gespräch erwähnte, dass es für ihn leichter sei, mit (vorhandenen) Formen (also Typen) zu arbeiten als vor der weißen Leinwand zu stehen, so kann ich das als Journalistin und Autorin nur allzu gut verstehen. Dennoch ist mir bewusst, dass er damit nicht die Überwindung der Vanitas meinte, die sich dem schöpferischen Willen so oft entgegenstellt. Vielmehr gab er mir damit einen Hinweis auf das, worauf es ihm im Grunde ankommt: Nämlich nicht auf die (inhaltliche) Erschaffung neuer „Welten“, sondern auf die Variation, Kombination und vor allem die Neubestimmung vorhandener Dingwelten, um aus diesen wiederum neue Dimensionen abzuleiten. Eine Art „Typescapes“ (wie er auch einmal eine Werkreihe betitelte), die wie Landschaften anmuten, und doch im Grunde „nur“ Typen variierende Holzdrucke sind. Für mich bleibt nach wie vor verblüffend, welche Dimensionen sich beim Betrachten dieser erschließen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

© Dr. Friederike Zimmermann – Kunst & Kommunikation – Merzhausen, am 1. Februar 2018